Artesoires Blog-Text zweiter Teil: Geschichte des modernen Industrie-Designs: Von Arts & Craft zum Jugendstil, Art déco und Bauhaus

 

Der Deutsche Werkbund 1907–1933

1907 gründet eine heterogene Gruppe aus Architekten, Künstlern, Industriellen, Publizisten und Kaufleuten in München den Deutschen Werkbund. Hier ist auch Muthesius Mitglied.

Ziel ist es, die Entwicklung und Produktion von Alltagsgegenständen im Zusammenspiel von Kunst (Entwurf/Ästhetik), Handwerk (Entwicklung/Konstruktion) und Industrie (serielle Produktion) zu verbessern. Führende Vertreter dieses Gedankenguts waren unter anderem Peter Behrens und Henry van de Velde. 1914 fand in „Cöln“ die erste Werkbundausstellung statt. Die Ausstellung endete früher als geplant durch den Ausbruch des
1. WK. Eine bereits geplante zweite Ausstellung nach Beendigung des Krieges konnte aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht realisiert werden. Nach dem 2. WK fand schließlich 1949 die dritte Ausstellung in Köln unter den Titeln „Die Gute Form“ und „Neues Wohnen“ statt.

Bei der 1. Werkbundausstellung 1914 entfachte ein Richtungsstreit zwischen Verfechtern der Individuellen Form und des Handwerks und letztlich der künstlerischen Freiheit (van der Velde) und den Anhängern der Standardisierung und Vorkämpfern für Massenprodukte (die sogenannten Modernisten Muthesius, Walter Gropius u.a.).  Letztere wandten sich insbesondere gegen die Ornamentik. Der Streit ging zunächst zugunsten der Gruppe um van de Velde aus. Viele Künstler arbeiteten für wohlhabende Auftraggeber. Aber nach dem Ende des 1. WK wenden sich viele Designer und Architekten der Standardisierung zu wie zum Beispiel Peter Behrens oder Richard Riemerschmid.

 

Das Bauhaus 1919 – 1933

Das Bauhaus entstand durch eine Zusammenlegung der Kunsthochschule und der von Henry van de Velde aufgebauten Kunstgewerbeschule in Weimar.

Zu Beginn wird - wie schon bei Arts and Craft - eine Rückbesinnung auf handwerkliche Arbeitsmethoden angestrebt. Deshalb vollzog sich die Ausbildung in Werkstätten. Die Professoren nannten sich Meister.

Dem Bürger sollte der Zugang zu funktionalen, modern-ästhetischen und zugleich bezahlbaren Produkten ermöglicht werden. Durch eine zunehmende Öffnung gegenüber der Industrie und Industrieaufträgen und einer Neuausrichtung hin zum Produkt-Design entwickelte sich das Bauhaus in den Jahren ab 1925 zu einer ersten international renommierten Hochschule für Gestaltung. Statt Kunst und Handwerk heißt es jetzt Kunst und Technik. Infolge der Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1933 erfolgte dann jedoch die Selbstauflösung des Bauhauses. Neben der Philosophie einer funktionellen und auf das Wesentliche reduzierten Ästhetik hat das Bauhaus nicht zuletzt durch die konsequente Berücksichtigung neuer industrieller Fertigungsmethoden weltweit Beachtung gewonnen. Man spricht noch heute vom Bauhaus-Stil.

Produktbeispiele: Salz- und Pfefferstreuer „Max und Moritz“ von W. Wagenfeld oder dessen Lampe WG24 (1923/24).

 

Foto: die Meisterhäuser in Dessau. Hier lebten die Meister, wie die Professoren am Bauhaus genannt wurden.

 

Art Déco 1919 – 1939 (Die zwanziger und dreißiger Jahre zwischen den Weltkriegen)

Von „Art déco“ spricht man seit einer bedeutenden Messe, der „Exposition Internationale des arts décoratifs et industriels modernes“, die 1925 in Paris stattfand. Das Art déco brach mit den organischen Formen des Jugendstils und führte eine modernere Formensprache ein. Die Objekte richteten sich jetzt an die aufstrebende Mittelklasse.

 

Foto: Kaffee- und Teeservice (1927) von Philippe Wolfers (1858-1929).

Die wesentlichen Stilelemente sind geometrische Formen, Zickzack, Symmetrie, stilisierte Motive (Abstrahierung der Wirklichkeit) und Einfachheit und Klarheit beim Dekor vor allem im Vergleich zum Jugendstil.

Das Motiv der Sonnenstrahlen trat auch in Erscheinung. Das Bild von Erwin Plönes könnte also auch in einem Art Déco-Raum gehangen haben. 

 

Vom Jugendstil übernommen wurde das Konzept des „Gesamtkunstwerkes“ (siehe oben), also die übergeordnete Gestaltung von Architektur und Innenausstattung.

Die Stilelemente wurden vor allem in den Bereichen Architektur und Skulptur sowie im Produktdesign bei Gebrauchsobjekten wie Geschirr, Besteck, Lampen oder Möbeln aber auch bei der Schmuckherstellung angewandt. Oft sieht man kubistische Einflüsse. Man bediente sich sowohl des Handwerks als auch der industriellen Fertigungsweise.

Veranschaulicht wird das in Brüssel. Hier steht das größte Art Déco-Gebäude der Welt, die „Basiliek van het Heilig Hart“ (Koekelberg). Gleichzeitig ist die „Basilika des Heiligen Herzens“ wie der Name in die deutsche Sprache übersetzt wird, die 5. größte Kirche der Welt.  Weitere Beispiele für Art Déco-Gebäude in Brüssel sind das Haus und Anwesen des niederländischen Ehepaars Alice und David van Buuren (Ukkel), die Villa Empain (Ixelles) oder das Kaaitheater (Schaerbeek).

Im Haus der Familie van Buuren sieht man zum Beispiel Lampen und Glasrahmen in der typischen geometrischen Formensprache oder Besteck von Philippe Wolfers (1935). Sehr bewundert habe ich die Art Déco-Teppiche des niederländischen Designers Jaap Gidding. Auch die hier aufgestellten Skulpturen entsprechen mit ihren abstrahierten Formen ganz dem Stil des Art Déco, wie das Beispiel „De Knielende“ von George Minne zeigt, der übrigens auch mit Kunstwerken in der Basilika von Koekelberg vertreten ist.

Sowohl das Ehepaar van Buuren als auch Philippe Wolfers und Jaap Gidding ließen sich auf der Pariser Weltausstellung von 1925 inspirieren. 

Das zeitgleich zum Art Déco-Stil der 20er und 30er Jahre existierende Bauhaus hat schließlich sowohl die Form als auch das Dekor weiter reduziert und die Funktion des Produkts zum Maßstab erhoben.

So brachte die Industrialisierung die Sehnsucht nach dem Handwerk hervor und verschiedene Strömungen, die nach handwerklicher Produktion von Gebrauchskunst (angewandter Kunst) strebten und schließlich zum Bauhaus führten. Das Bauhaus schließlich öffnete sich der Industrie und dem modernen Industriedesign. 

 

Nach dem zweiten Weltkrieg

gewann die Entwicklung des Designs wieder rasch an Fahrt.

Neben den Kölner Werkschulen orientiert sich auch die Hochschule für Gestaltung in Ulm an den Prinzipien des Bauhauses und verfolgt einen rationalen und problemlösenden Ansatz. Geometrische Formen ohne Verzierungen stehen im Vordergrund. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Designer Dieter Rams.

Bekannte Beispiele der Nachkriegszeit sind Design-Klassiker wie zum Beispiel der Kombi-Plattenspieler „Schneewittchensarg“ von Dieter Rams (1956), Sitzmöbel wie der „Panton Chair“ (1960), oder Gebrauchsobjekte von Alessi wie der „9091 Kettle“ von Richard Sapper (1982) oder der „Whistling Bird Tea Kettle“ von Michael Graves (1985). Designer-Stücke genießen die Aura von Kunstwerken und werden – nicht verwunderlich – in Kunst- oder Designmuseen gezeigt.

Letztlich ist die Geschichte des modernen Produktdesigns das Ergebnis von Debatten über die Herstellungsweise (handwerkliche oder industrielle Fertigung), das Dekor (Historismus, Modernisierung der Formensprache) sowie die Form und woran sich diese orientierte (am vorherrschenden Dekor oder der Funktion).

 

 

Literatur:

Dubois, Cecile, Brussels Art Nouveau, Lannoo, 2018.

Kurz, Melanie und Schwer, Thilo, Geschichte des Designs, München: C.H. Beck, 2022.

Wilhide, Elizabeth, Design, the whole story, London: Thames and Hudson, 1922.

Droste, Magdalena, Bauhaus, Köln: Taschen, 2018.

Reform of life & Henry van de Velde mittendrin, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung 24.11. 2024 – 2.3.2025, Kunstsammlungen am Theaterplatz, Chemnitz.

Ausstellungen in München und Brüssel.

 

 

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